Tourismus erwartet tektonische Verschiebungen


Villach (22.05.2018) -

Birgit Gebhardt zur Zukunft des Reisens
(Copyright: Fotodienst/Gerhard Kampitsch)

Für den Tourismus der Zukunft sehen Experten eine weitere Verschiebung von Machbarkeiten, Kapazitäten und Gewohnheiten voraus. Der anhaltende Reiseboom birgt neben immensen technologischen Neuerungen und wirtschaftlichen Perspektiven zahlreiche Risiken für Destinationen ebenso wie für die dort lebenden Menschen. Für ein harmonisches Miteinander sind alle Beteiligten in der Pflicht, so die einheillige Meinung beim Internationalen Tourismusforum der Europäischen Toleranzgespräche 2018 in Villach, das von der Region Villach Tourismus und dem Travel Industry Club Austria mitveranstaltet wurde. https://fresach.org

Selbstvermarktung und Massentourismus als Gefahr

"Ich reise leidenschaftlich gerne - aber welche Bedürfnisse wird der Gast im Jahr 2037 haben?" Mit dieser Frage eröffnete ORF-Moderatorin Gudrun Leb die Diskussionsrunde, die sich aus Wissenschaftern und Praktikern zusammensetzte. Die Hamburger Trendforscherin Birgit Gebhardt geht davon aus, dass sich computer- und robotergestützte Technologien sehr rasch durchsetzen werden, bei aller Skepsis vor den Folgen. "Ich denke beispielsweise an Helfer-Roboter: Diese werden uns Wünsche abnehmen und begleiten können. Was sie aber nicht mitliefern, ist die so wichtige "Tuchfühlung" mit Menschen, die sich Reisende in ihrer Urlaubsdestination erwarten."

Gleichzeitig sieht Gebhardt Probleme auf Urlaubsregionen zukommen, denn durch die breiter werdende Mittelschicht in asiatischen Ländern wird auch die Zahl der Reisenden von dort massiv zunehmen. Vor allem europäische Urlaubsdestinationen leiden schon heute unter Massentourismus: Historische Altstädte sind chronisch überlastet, Gäste stellen zunehmend die eigene Vermarktung in sozialen Medien in den Mittelpunkt und nehmen wenig Rücksicht auf die von ihnen besuchte Region - samt ihrer Einzigartigkeit. "Kreuzfahrtschiffe schädigen die Architektur Venedigs. Daran denken die meisten der Passagiere nicht, während 35.000 Kubikmeter Wasser die Pfeiler, auf denen die Stadt erbaut ist, angreifen", klagte Gebhardt an.

Eine große Belastung, da waren sich die Diskutanten einig, sind Tagestouristen. In Venedig etwa stellen sie 90 Prozent aller Besucher. Von ihnen geht keine wirkliche Wertschöpfung für die jeweilige Urlaubsregion aus, da sie kaum Geld ausgeben, sagte der Kärntner Tourismusberater Manfred Kohl. Auch deswegen sei Venedig, trotz Menschenmassen an Touristen, mit rund 800 Mio. Euro verschuldet. Was außerdem ein wichtiger Faktor für Zieldestinationen ist, ist das Bauchgefühl der einheimischen Bevölkerung. Es komme eben auch auf den Zuspruch der Ortsansässigen an, wieviel Reisende eine Region vertrage. Da gelte es anzusetzen, damit die einheimische Bevölkerung Nutzen aus Tourismus ziehen könne. In Venedig wendet jeder dritte Schulabgänger der Stadt den Rücken zu - auch, weil die Reisebranche für Einheimische zu wenig Ertrag abwirft.

Regionale Stärken gekonnt ausspielen

Probleme mit der Zukunft seiner Lebensgrundlagen habe er nicht, entgegnete Slow-Food-Pionier Herwig Ertl. "Speziell hier in Kärnten geht es darum, dass wir uns das bewahren, was andere vergessen haben." Innovationen gibt es seiner Ansicht nach genug. Was zählt ist, wie der Mensch damit umgeht. "Städter zieht es von jeher zum Urlaub machen aufs Land." Das liege an der Wahrung erfolgreicher Konzepte, Gäste zufriedenzustellen. Trendforscherin Gebhardt sieht hier große Chancen durch den zunehmenden Tourismus aus Fernost: Es sei ein Trend zu erkennen, dass beispielsweise Chinesen Bräuche aus bereisten Regionen annehmen und imitieren.

Dass lokale Stärken allein nicht ausreichend sind, um Reisende anzulocken, weiß Georg Overs, Geschäftsführer der Region Villach Tourismus: Gerade erst wurde sein "Bahnhofsshuttle", der Radfahrer oder Wanderer ohne eigenes Auto von Bahnhöfen zum Reiseziel weiterbefördert, mit dem Österreichischen Tourismus-Innovationspreis ausgezeichnet. "Wir müssen den Spagat zwischen Innovation und altbewährtem Umgarnen der Gäste schaffen", gab Overs die Marschroute vor. "Dann brauchen wir uns nicht zu fürchten."

Beiderseitige Wertschätzung gefordert

Der Zuspruch zum lokalen Tourismusgewerbe hängt laut Michael Berndl von den Romantikhotels jedenfalls mit dem Ansehen der Beschäftigten im Tourismus zusammen. "Der Mangel an Fachkräften ist auch auf mangelnde Wertschätzung zurückzuführen", sagte der Familienvater, dessen Söhne irgendwann sein Geschäft übernehmen sollen. "Doch das geht nicht ohne Spaß an der Arbeit, und wenn ihnen niemand dafür dankt, dass sie hart arbeiten", so Berndl. Letztlich, so schloss Herwig Ertl, muss die Tourismusbranche bei zukünftigen Aufgaben zusammenhalten. Dafür hat er zum Abschluss der Diskussion auch einen treffenden Merksatz parat: "Wenn wir nicht untereinander neidisch sind, haben wir alle genug!"



Wolfgang Rudloff,
rudloff@pressetext.com






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